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Judiths prämierte Geschichte / Seite 2:

Lisa holt ihr kleines Notebook hervor und sieht die Termine für den Tag durch. 15.00 Uhr Mitarbeitervollversammlung... Sie seufzt, das bedeutet mindestens drei Stunden Internet-Konferenz, hoffentlich schalten sich diesmal die Spanier schneller zu als beim letzten Mal. Bei der letzten Vollversammlung, waren alle Mitarbeiter der EUROHotels pünktlich eingeloggt, nur in der spanischen Zentrale war der Hauptrechner abgestürzt, was dazu führte das in ganz Europa genervte Hoteliers vor dem Computer saßen und sich schworen, nie wieder auch nur einen einzigen Schluck Rioja Wein zu trinken. Aber heute darf so etwas nicht passieren, sie muss einfach pünktlich im Ruhrstadion sein.
"Papa, Mama, wir sind da",kommt es von der Rückbank des Autos. Tatsächlich, das Auto fährt direkt von der Straße in den Lift der nach oben ins Parkhaus der Schule führt. Während sie immer höher und höher nach oben fahren, wird Alessia immer aufgeregter. Jetzt wird es ernst!
Die Familie steigt aus dem Auto und begibt sich zum Personenlift. Alessia blickt noch dem Auto hinterher, was nun über Fließband zu einer Parklücke innerhalb der riesigen Garage geführt wird. Dann beeilt sie sich aber in den Fahrstuhl zu kommen.

Ufff ! Das war knapp. In letzter Sekunde hat sich Fabian zwischen die schweren, metallenen Schiebetüren des Aufzuges gezwängt. Völlig außer Atem steht er nun im Innern des Lifts, mit dem Rücken zu der Familie im hinteren Teil der Kabine. "Mama, darf ich nicht ein kleines Bonbon jetzt schon naschen", quengelt jetzt das Mädchen mit der bunten Schultüte im Arm. "Ach, Alessia, warte doch bis du zu Hause bist", erwidert die Mutter leicht genervt.
Fabian muß schmunzeln. Diese Szene erinnert ihn nur allzu gut an seinen eigenen ersten Schultag. Er hat damals seine Großmutter zur Weißglut getrieben, weil er unbedingt eine Schultüte haben wollte, so wie alle Kinder in Deutschland auch eine hatten. Das Problem war nur, daß seine Großmutter als Spanierin für solchen Schnickschnack kein Verständnis hatte und auch nicht wußte wie sie morgens um neun Uhr in Pamplona diesen Schnickschnack auftreiben sollte. Also wurde der weinende und quengelnde Fabian ohne Schultüte in die Schule gebracht, was für ihn damals mit einem Weltuntergang gleichzusetzen war. Gott sei Dank, kam am Nachmittag ein Paket von seiner Mutter aus Deutschland, mit einer riesigen Schultüte.
Fabian seufzt, er wäre lieber in Spanien geblieben. Mit dem Ruhrgebiet kann er wenig anfangen. Aber da seine Eltern der Meinung sind, daß das Niveau an deutschen Schulen höher sei, hat seine Mutter ihn zu sich ins "Revier" geholt. Eigentlich wird mindestens einmal pro Schuljahr jede Schule in ganz Europa kontrolliert, ob sie auch den EU-Normen entspricht und die Schüler problemlos auf jede andere Schule in jeder anderen Stadt, in jedem anderen europäischen Staat wechseln kann, ohne Stoff nacharbeiten zu müssen. Fabian weiß selbst wie wichtig das ist. Seit dem er denken kann ist er mit seinem Vater, einem Ingenieur, durch halb Europa getingelt; immer von einer Baustelle zur nächsten. Fabian war nie länger als drei Monate in einer Schule und an einem Ort, deswegen ist er der EU-Kultusministerkonferenz dankbar für das neue europäische Schulsystem. Obwohl das System auch seine Lücken hat. Es gibt immer noch Eliteschulen, die einen höheren Standard bieten als andere, so auch die Theodor Heuss Schule, auf die er nun besuchen wird.

 


Die Vorteile seiner neuen Schule leuchten Fabian zwar ein, aber dennoch wäre er gern bei seinem Vater in Spanien geblieben, anstatt jetzt mit seiner Mutter in Deutschland leben zu müssen. Eigentlich kennt er sie gar nicht richtig. Sie und sein Vater haben sich getrennt als er ein Jahr alt war. Sein Vater Javier ist dann nach Spanien zurückgekehrt, während Fabians Mutter Doris in Deutschland blieb. Fabian weiß zwar, daß dies nichts ungewöhnliches ist und 65% aller Ehen geschieden werden, aber er wünscht sich trotzdem eine ganz "normale" Familie.
Das Klingeln des Fahrstuhls reißt ihn aus seinen Gedanken. Jetzt wird er doch etwas nervös, er haßt es, sich am ersten Schultag dem Direktor vorstellen zu müssen. Dem kleinen Mädchen neben ihm scheint es ähnlich zu gehen.

Alessia wird nun wirklich etwas mulmig, wenn sie sich vorstellt, daß jetzt der "Ernst des Lebens" für sie beginnen soll. Schüchtern greift sie nach der Hand ihres Vaters und ist froh, daß sie nicht allein durch die langen Gänge der Schule gehen muß.