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Judiths prämierte Geschichte / Seite 8:

"Hey, Pierre, laß uns fahren, sonst kommen wir noch zu spät. Ich habe keine Lust auf das Donnerwetter meiner Mutter, weil ich zu spät bin.", ruft Fabian ihm vom Strand aus zu. Widerwillig kommt Pierre aus dem Wasser. Mit dem Stadtexpress geht es zurück nach Dortmund. An der Haltestelle kommt ihnen eine Kindergruppe entgegen, um die sie genervt einen Bogen machen. Die meisten Eltern schicken ihre Kinder in eine Spielgruppe, damit sie nicht zu hause vor dem Computer vereinsamen. Denn in den meisten Wohnsiedlungen gibt es für Kinder kaum Möglichkeiten, zusammen zu spielen.

Alessia ist glücklich. Ihr erster Schultag war einfach Spitze. Die Lehrerin Miß Miller hat mit ihnen Spiele gespielt und Alessia kann jetzt schon "My name is Alessia. I'm six years old", sagen, worauf sie sehr stolz ist. Nach der Schule wurde sie wie alle Kinder aus ihrer Klasse von ihrer Spielgruppenleiterin abgeholt. Heute hat ihre Gruppe einen Ausflug ins Bergbaumuseum nach Bochum gemacht. In den dunklen Stollen hat sie sich ganz schön gegruselt. Gott sei Dank, ging es ihrer Freundin Tina nicht anders. Sie haben sich beide ganz fest an die Hand genommen und sind tapfer hinter der Gruppenleiterin Julia hergestapft.
Jetzt ist Alessia aber müde und froh als sie in der Gruppe wartender Eltern ihren Vater entdeckt. Obwohl ihre Füße vom vielen Laufen bereits schmerzen, rennt sie auf ihn zu.
"Hey, nicht so stürmisch, kleine Lady.", lacht Tim als er seine Tochter in die Arme schließt. Während Alessia einen ausführlichen Vortrag über die Geschichte des Bergbaus im Ruhrgebiet hält, versucht Tim sich zu erinnern, wo er auf dem riesigen Vorstadtparkplatz sein Auto abgestellt hat. Früher war das Parken viel einfacher, doch seit dem Autos im Stadtzentrum nicht mehr fahren dürfen, muß man sich auf riesigen, ständig überfüllten Parkplätzen zurechtfinden. Nach langer Suche mit einer quengelnden Tochter, der die Füße weh tun, findet Tim endlich seinen Wagen. Erleichtert fährt er von dem Parkplatz zur Auffahrt der U 47. Hier kann er endlich den Autopiloten wieder einstellen und sich ganz seiner Tochter widmen. "Komm, wir rufen mal die Mami an und fragen wann wir heute abend im Stadion sein sollen.", schlägt er Alessia vor. Die ist ganz begeistert von der Idee und um so enttäuschter , als der Bildschirm am Armaturenbrett schwarz bleibt: Lisa ist schon im Stadion. "Macht nichts, wir rufen sie von zu hause aus auf ihrem Handy an", muntert Tim Alessia auf. Nach ein paar Minuten fährt das Auto auch schon in die Tiefgarage. Alessia stürzt zum Fahrstuhl: sie will jetzt ihre Mutter anrufen. Susa schließt den Laden zu und wirft noch mal einen kritischen Blick auf ihr Spiegelbild im Schaufenster. Dann macht sie sich auf den Weg ins SAMs. An einem kleinen Tisch in einer Nische wartet bereits Tobias auf sie. Als er sie kommen sieht geht er ihr entgegen nimmt sie in den Arm und küßt sie, dann gehen sie Arm in Arm in Arm zu ihrem Tisch. Einige Augenblicke weiß keiner so recht, was er sagen soll. Bis Tobias etwas hilflos lacht: "Dann werde ich also jetzt endlich Vater. Mensch, Susa ich freue mich so."
Susa lächelt stumm. Ja, auch sie freut sich auf das Kind, aber sie möchte auf jeden Fall ihre Boutique weiterführen. Hoffentlich zieht Tobias sein Angebot nicht zurück.
"Ich habe heute schon mit meinem Chef gesprochen. Ich kann ohne Probleme auf Telearbeit umsteigen. Du kannst also ohne Probleme deine Boutique behalten. Zum Stillen bringe ich dir das Baby dann vorbei. Dafür mußt du dann ein Viertelstündchen deiner kostbaren Zeit opfern, du Workaholic", neckt Tobias sie.

 


Susa schämt sich ein wenig. Wie konnte sie nur denken, Tobias würde nicht zu ihrer Abmachung stehen ? Tobias kramt in seinem Aktenkoffer. "Ich war übrigens gerade in einer Genberatungstelle. Die haben mir da schon einmal ein paar Broschüren zum Durchblättern mitgegeben. Wahnsinn, was heutzutage alles möglich ist.", erzählt er.
"Ja genau, es ist Wahnsinn, es ist total verrückt so in die Natur einzugreifen.", regt sich Susa auf.
"Aber das stimmt doch nicht. Warum sollen wir Menschen unser Wissen nicht einsetzen und die Natur ein wenig zu unseren Gunsten verändern?", fragt Tobias ruhig.
"Du weißt genau, daß ich das nicht logisch begründen kann. Das ganze widerstrebt mir halt. Ich fühle mich bei der ganzen Gentechnologie nicht wohl.", versucht Susa ihren Standpunkt zu erklären.
"Findest du es nicht faszinierend, daß wir bestimmen könnten welche Augenfarbe unser Kind haben wird? Die Haarfarbe, die Statur all das könnten wir entscheiden. Ich finde das großartig."
"Ich denke nicht daß das etwas Großartiges hat. Ich finde das Ganze etwas größenwahnsinnig. Wer gibt uns denn das Recht einfach so in die Natur einzugreifen. Wir können doch nicht einen Menschen, ein Individuum, nach unseren Vorstellungen erschaffen. Ich will nicht, daß mein Kind ein Frankenstein wird. Was ist, wenn es in zehn oder 20 Jahren zu uns kommt und uns Vorwürfe macht, weil es gar nicht so sein will, wie wir es haben wollten." Susa gibt nicht auf. Tobias muß doch irgendwann begreifen, daß diese ganze Technologie unmenschlich ist.
"Okay, das leuchtet mir ja auch irgendwo ein. Aber was ist wenn unser Kind uns irgendwann einmal vorwirft, daß wir es nicht vor einer Erbkrankheit geschützt haben. Hältst du einen genetischen Eingriff auch in so einem Fall für nicht legitim?", bohrt dieser weiter.
"Ich glaube wenn ich wüßte, ich könnte mein Kind durch einen genetischen Eingriff vor einer Krankheit schützen, würde ich wahrscheinlich doch zustimmen. Aber das ist ja auch ein ganz anderer Fall. Ich kann nur die Paare einfach nicht verstehen, die ihr Kind nicht so annehmen können, wie es von der Natur geschaffen worden ist." schränkt Susa ein.
"Ich kann die aber ganz gut nachvollziehen. Doch laß uns jetzt das Thema wechseln, sonst fangen wir noch an, uns wirklich zu streiten und das wäre schade an einem Abend wie diesem. Ich habe übrigens doch noch Karten für die Eröffnungsfeier bekommen. Wenn du willst können wir also heute abend ins Stadion gehen.", beendet Tobias das heikle Thema.
"Super! Dann laß uns schnell etwas zu essen bestellen, sonst kommen wir noch zu spät.", schlägt Susa vor.