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Judiths prämierte Geschichte / Seite 9:

Nein, sie kann jetzt nichts essen. Doris schiebt den Teller weit von sich. Zum Hundertsten Mal an diesem Tag nimmt sie die inzwischen schon verknitterten Blätter hervor und geht ihre Rede durch. Eigentlich kann Doris sie schon auswendig, aber richtig sicher fühlt sie sich noch nicht. Sie ist schrecklich nervös. Heute abend werden alle Augen der Welt auf sie gerichtet sein. Jeder noch so kleinste Versprecher wäre für sie, die Perfektionistin, eine mittlere Katastrophe. Die Wohnungstür wird geöffnet und Fabian kommt herein. "Na, nervös", fragt er und grinst. "Ach, übrigens Pierre kommt heute abend auch mit und ich habe ihm versprochen, daß er mit uns im Helikopter fliegen darf. Ist doch okay, oder?"
"Ja, ja", meint Doris geistesabwesend "Hat er denn einen Anzug?", fällt ihr dann ein.
"Nö, aber den kann ich ihm ja ausleihen." Fabian grinst. Jetzt kann sich seine Mutter nicht mehr aus der Affäre ziehen.
"Okay, aber benehmt euch auch zu zweit anständig.", seufzt Doris, "Und jetzt lass mich mit meiner Rede allein. Ich will sie wenigstens noch einige Male durch gehen."
Es klingelt. "Bonsoir Madame Langner", begrüßt Pierre Fabians Mutter, als er die Wohnung betritt. "Hallo, Pierre. Schön dich zu sehen. Ich schlage vor, ihr macht euch jetzt schon mal chic, denn in einer Stunde geht es auch schon los.", meint Doris.
Dann begibt sie sich selbst in ihr Zimmer. Ihr Kostüm für den Abend wartet schon auf sie. Eigentlich haßt Doris Kostüme, aber es wird von ihr als Oberbürgermeisterin des Reviers erwartet, diese zu tragen. Seufzend schlüpft sie in ihr marinefarbenes Kostüm. Dann klickt sie auf ihrem StylingBoard, einem Monitor in ihrer Schrankwand, die Sparte Make-up an. Sofort erscheint eine virtuelle Doris auf dem Bildschirm. Die echte Doris zieht der Computer Doris genau das gleiche dunkelblaue Kostüm an und geht dann auf den Befehl "Suchen". Nach ein paar Sekunden sieht sie ihr Gesicht mit vier verschiedenen Make-ups. Sie entscheidet sich für eines und der Computer zeigt ihr eine Liste mit den benötigten Utensilien, dann zeigt er ihr Schritt für Schritt, wie sie sich zu schminken hat, um so wie ihr virtuelles Abbild auszusehen. Doris beeilt sich, denn in zwanzig Minuten muß sie bereits im Stadion sein. So noch schnell den Lippenstift und....fertig!
"Finger weg, von Mamis Lippenstift! ", ermahnt Tim seine Tochter. Die sitzt in ihrem feinsten Kleid auf dem Ehebett ihrer Eltern und wühlt in Lisas Schminkschatulle. Tim zwängt sich derweil in seinen besten Anzug. Viel lieber würde er mit seinen Freunden ins Stadion gehen, anstatt in der Ehrenloge mit den ganzen vornehmen Spießern zu sitzen. Aber daran muß er sich bei seiner Frau wohl oder übel gewöhnen. Ein Blick auf die Uhr... Sie sollten sich auf den Weg machen sonst verpassen sie noch den Anfang der Feier.

Lisa läuft zwischen endlosen Tischreihen umher. Weißgekleidete Kellner stellen riesige Platten mit Speisen auf die blauen Tischdecken. "Maria die gelben Servietten müssen noch zu Sternen gefaltet werden. Die Tische sollen wie die europäische Flagge aussehen, verstehst du ?" erläutert Lisa das Thema des Buffet ihren Untergebenen. Im Festsaal des neuen Olympiastadions soll ein riesiges europäisches Buffets aufgebaut werden, mit Spezialitäten aus jedem europäischen Staat. Alles muß perfekt werden, schließlich ist das Essen eine Art Visitenkarte für die EuroHotel - Kette, die den Festmahl serviert. Lisa dreht sich einmal im Kreis und blickt sich kritisch um. Ihr Buffet ist doch noch schön geworden. Sie gibt den Oberkellnern letzte Anweisungen und zieht sich dann zurück. Endlich kann sie ihr neues rotes Kleid anziehen. Lisa schaut prüfend in den Spiegel der Umkleidekabine. Alles perfekt, das Kleid sitzt wie angegossen. Jetzt muß sie nur noch auf Tim und Alessia warten und dann kann sie einfach den Abend genießen.

 


Noch zwanzig Minuten bis zum Einlaß. Susa und Tobias stehen dicht gedrängt mitten in einer der langen Schlangen vor dem Tor. Wenn Susa den Kopf in den Nacken legt kann sie die Schale für das olympische Feuer sehen. Jetzt wird sie sogar ein wenig aufgeregt, obwohl sie den ganzen Rummel, der seit Wochen die Metropole beherrscht nicht so richtig nachvollziehen konnte. Doch hier in der Menge , umgeben von Menschen aus aller Herren Länder ist sie doch ein wenig stolz, daß die Olympiade im Ruhrgebiet, ihrer Heimatstadt, ausgetragen wird. Endlich: die Tore werden geöffnet und alles strömt in das riesige Stadion. Susa greift nach Tobias Hand. Sie will ihn in dieser Masse nicht verlieren.
Aus der Lautsprecheranlage tönt laute Musik. Tobias drückt Susas Hand. Zielstrebig steuert er auf eine Tribüne zu. Er will auf jeden Fall einen Sitzplatz ergattern. Er hat keine Lust die zwei Stunden während der Eröffnungsfeier zu stehen. Zu seiner Freude finden die Beiden noch einen Sitzplatz und lassen sich erleichtert in die Kunststoffschalen fallen. Über ihren Köpfen fliegen die Hubschrauber mit den Ehrengästen.

Der Hubschrauber setzt zur Landung an. Für Pierre ging der Flug viel zu schnell vorüber. Fabian scheint das alles schon gewohnt zu sein, denn er sitzt ganz cool in seinem Sitz. Die Tür des Helikopter öffnet sich und ein Mann hilft Doris auszusteigen und führt sie ins Stadion. Fabian und Pierre trotten hinterher. Sie durchqueren den Festsaal und Pierre gehen fast die Augen über, als er die Tische mit den vielen Köstlichkeiten sieht. Am liebsten will er sich jetzt schon auf das Buffet stürzen. Hoffentlich dauert der offizielle Teil der Feier nicht allzu lang.
Fabian blickt durch die Glasscheibe des Saales auf das Stadion herab. Hunderttausende warten dort unten auf den Beginn der Feier. Auf der riesigen Bühne in der Mitte des Stadion wuseln einige Tontechniker auf der und bauen die Mikrofone für die Sänger auf. Die Spannung steigt...