Nein, sie kann jetzt nichts essen. Doris
schiebt den Teller weit von sich. Zum Hundertsten Mal an
diesem Tag nimmt sie die inzwischen schon verknitterten
Blätter hervor und geht ihre Rede durch. Eigentlich kann
Doris sie schon auswendig, aber richtig sicher fühlt sie
sich noch nicht. Sie ist schrecklich nervös. Heute abend
werden alle Augen der Welt auf sie gerichtet sein. Jeder
noch so kleinste Versprecher wäre für sie, die
Perfektionistin, eine mittlere Katastrophe. Die Wohnungstür
wird geöffnet und Fabian kommt herein. "Na,
nervös", fragt er und grinst. "Ach, übrigens
Pierre kommt heute abend auch mit und ich habe ihm
versprochen, daß er mit uns im Helikopter fliegen darf. Ist
doch okay, oder?"
"Ja, ja", meint Doris geistesabwesend "Hat er
denn einen Anzug?", fällt ihr dann ein.
"Nö, aber den kann ich ihm ja ausleihen." Fabian
grinst. Jetzt kann sich seine Mutter nicht mehr aus der
Affäre ziehen.
"Okay, aber benehmt euch auch zu zweit
anständig.", seufzt Doris, "Und jetzt lass mich
mit meiner Rede allein. Ich will sie wenigstens noch einige
Male durch gehen."
Es klingelt. "Bonsoir Madame Langner", begrüßt
Pierre Fabians Mutter, als er die Wohnung betritt.
"Hallo, Pierre. Schön dich zu sehen. Ich schlage vor,
ihr macht euch jetzt schon mal chic, denn in einer Stunde
geht es auch schon los.", meint Doris.
Dann begibt sie sich selbst in ihr Zimmer. Ihr Kostüm für
den Abend wartet schon auf sie. Eigentlich haßt Doris
Kostüme, aber es wird von ihr als Oberbürgermeisterin des
Reviers erwartet, diese zu tragen. Seufzend schlüpft sie in
ihr marinefarbenes Kostüm. Dann klickt sie auf ihrem
StylingBoard, einem Monitor in ihrer Schrankwand, die Sparte
Make-up an. Sofort erscheint eine virtuelle Doris auf dem
Bildschirm. Die echte Doris zieht der Computer Doris genau
das gleiche dunkelblaue Kostüm an und geht dann auf den
Befehl "Suchen". Nach ein paar Sekunden sieht sie
ihr Gesicht mit vier verschiedenen Make-ups. Sie entscheidet
sich für eines und der Computer zeigt ihr eine Liste mit
den benötigten Utensilien, dann zeigt er ihr Schritt für
Schritt, wie sie sich zu schminken hat, um so wie ihr
virtuelles Abbild auszusehen. Doris beeilt sich, denn in
zwanzig Minuten muß sie bereits im Stadion sein. So noch
schnell den Lippenstift und....fertig!
"Finger weg, von Mamis Lippenstift! ", ermahnt Tim
seine Tochter. Die sitzt in ihrem feinsten Kleid auf dem
Ehebett ihrer Eltern und wühlt in Lisas Schminkschatulle.
Tim zwängt sich derweil in seinen besten Anzug. Viel lieber
würde er mit seinen Freunden ins Stadion gehen, anstatt in
der Ehrenloge mit den ganzen vornehmen Spießern zu sitzen.
Aber daran muß er sich bei seiner Frau wohl oder übel
gewöhnen. Ein Blick auf die Uhr... Sie sollten sich auf den
Weg machen sonst verpassen sie noch den Anfang der Feier.
Lisa läuft zwischen endlosen Tischreihen umher.
Weißgekleidete Kellner stellen riesige Platten mit Speisen
auf die blauen Tischdecken. "Maria die gelben
Servietten müssen noch zu Sternen gefaltet werden. Die
Tische sollen wie die europäische Flagge aussehen,
verstehst du ?" erläutert Lisa das Thema des Buffet
ihren Untergebenen. Im Festsaal des neuen Olympiastadions
soll ein riesiges europäisches Buffets aufgebaut werden,
mit Spezialitäten aus jedem europäischen Staat. Alles muß
perfekt werden, schließlich ist das Essen eine Art
Visitenkarte für die EuroHotel - Kette, die den Festmahl
serviert. Lisa dreht sich einmal im Kreis und blickt sich
kritisch um. Ihr Buffet ist doch noch schön geworden. Sie
gibt den Oberkellnern letzte Anweisungen und zieht sich dann
zurück. Endlich kann sie ihr neues rotes Kleid anziehen.
Lisa schaut prüfend in den Spiegel der Umkleidekabine.
Alles perfekt, das Kleid sitzt wie angegossen. Jetzt muß
sie nur noch auf Tim und Alessia warten und dann kann sie
einfach den Abend genießen. |